LIFE: Herzlich Willkommen auf dem Roten Sofa! Warum schenkt ihr Zeitfreunde eure Leidenschaft anderen Menschen?

Regina: Das ist eigentlich ganz egoistisch bei mir. Es macht mich nämlich glücklich, andere Menschen glücklich zu machen. Ich habe schon mit 12 Jahren entschieden, Sozialarbeiterin zu werden und es hat mir schon immer Freude gemacht, andere Menschen zum Lachen zu bringen, anderen Menschen ein Gefühl geben zu können und das hat sich so durch mein Leben gezogen.

Nina Wasiljew: Ich arbeite hauptberuflich auch im sozialen Bereich. Ja, es liegt mir einfach am Herzen, für andere Menschen da zu sein, ich mag dieses schöne Miteinander. Und das Besondere bei den Zeitfreunden ist, dass gemeinsame Zeit das Schönste ist, was wir miteinander teilen können.

„Emotional eine win-win-Situation“

Thorsten Lüer: Ich bin durch Zufall zu den Zeitfreunden gekommen. Und nach fast einem Jahr kann ich sagen, das ist eigentlich gar kein Job, den ich mache, sondern immer wieder ein Erlebnis. Man lernt unterschiedliche Leute kennen, man gibt den Leuten viel, aber bekommt auch ganz viel zurück. Für mich eine win-win-Situation. Und das ist in anderen Berufen nicht so.

LIFE: Regina, wieso hast du aus deiner Leidenschaft heraus gleich ein Unternehmen gegründet?

Regina: Ich habe 10 Jahre lang im psychisch-sozialen Bereich, in einer Tagesstätte für Erwachsene gearbeitet, was mir sehr viel Freude gemacht hat. Da habe ich immer wieder gesehen, wie viel mehr Bedarf vorhanden ist. Viele waren geschieden, hatten keinen Kontakt zu den Kindern mehr etc.. Auch aus meinem anderen sozialen Umfeld habe ich mitbekommen, dass der Bedarf groß ist. Und dann bin ich der Typ, der sich weiter entwickeln möchte, etwas eigenes aufbauen will … mit den Zeitfreunden hab ich das umgesetzt. Ich habe den Bedarf mit meinen Wunsch, etwas eigenes auf die Beine zu stellen, kombiniert. Und die Ursula war eine meiner ersten Kundinnen…

Ursula Schruth: Genau, ich erinnere mich noch an alles …

Regina: Ja, wir waren fast zwei Jahre immer mal unterwegs, haben auch einige verrückte Sachen gemacht. Es gibt aber auch Leute, die eher bodenständige Dinge brauchen … unsere Kunden sind ganz unterschiedlich. Wir begleiten sie zum Einkaufen, zum Arzt, mit einigen gehen wir spazieren oder machen Ausflüge. Und wir machen einmal im Monat eine Gruppenaktion, also etwa Grillen auf Mays Deele, wir waren am Hücker oder im Tierpark.

„Ich lebe hier meine Werte und Ideale“

LIFE: Worum geht es dir in deinem Unternehmen? Welche Ziele verfolgst du?

Regina: Es geht mir darum, zwischenmenschlich Mehrwert für die Gesellschaft zu schaffen. Die Zeitfreunde sind für mich nicht einfach nur ein Unternehmen – es ist mein viertes Baby, meine Familie. Ich könnte mir nie vorstellen, die Zeitfreunde wieder loszulassen, da stecken meine Werte und Ideale drin. Meine Vorstellungen davon, wie ich mit anderen Menschen umgehe. Und das gebe ich an mein Team weiter und wir leben das. Aus unternehmerischer Sicht möchte ich natürlich wachsen, aber das Ganze mit Herz. Nina und ich wollen daran arbeiten, das zu verwirklichen. Ich bin gespannt, wo die Reise hin geht.

Nina: Im sozialen Bereich sollte nie das Geld im Focus stehen. Es geht immer darum, mehr Menschen mit unserer Arbeit zu erreichen, mehr Menschen aus der Einsamkeit herauszuholen und ihnen ein schönes Gefühl zu geben. Es geht immer darum, den Kunden mit einem Lächeln zu hinterlassen. Es ist anders als in anderen Unternehmen – deshalb stehe ich auch so dahinter.

Thorsten: Corona hat ja auch gezeigt, was Einsamkeit bedeutet. Viele sind ja kaum noch rausgegangen. Und das hat uns gezeigt, dass wir immer andere Menschen brauchen, für Kommunikation und Austausch. Mir macht es Spaß mich auszutauschen, zu geben und zu nehmen.

LIFE: Ursula, wie erleben Sie die Zeitfreunde?

Ursula: Das Wichtigste ist, dass ich mit den Leuten klar komme, und dass die auch was für mich tun. Und da kann ich nun wirklich nicht meckern (allgemeines Lachen). Meine Tochter ist froh darüber, dass ich unter Leute gehe. Als mein Auf dem Roten Sofa: „Die Zeitfreunde“ Regina Wenzel, Nina Wasiljew, Thorsten Lüer. Und Ursula Schruth. www.diezeitfreunde.de Mann vor 12 Jahren gestorben ist, war das ein Schlag ins Kontor. Da habe ich mich ganz zurückgezogen. Obwohl ich früher gerne unter Leute gegangen bin. Zum Glück hat meine Tochter den Kontakt zu den Zeitfreunden hergestellt und da bin ich jetzt schon seit 2,5 Jahren.

Regina: Ja, das ist oft so, dass die Familie der Initiator ist. Ich komme dann zum Erstgespräch, stelle mich vor, erzähle was von mir und meinem Team und in 99% der Fälle wird das auch was.

„Den gebe ich nicht mehr her“

LIFE: Ursula, wie sind Ihre Erfahrungen mit den Zeitfreunden? Und speziell mit dem Thorsten, der seit einem halben Jahr Zeit mit Ihnen verbringt?

Ursula: Den werde ich nicht wieder hergeben (Lachen…) Der ist die Freundlichkeit in Person, wir haben uns noch nicht einmal gestritten… aber das war die zwei Jahre mit Regina auch so.

LIFE: Regina, wie findest du denn raus, wer von den Zeitfreunden zu welchem Kunden passt? Regina. Das ist nicht immer einfach. Deswegen gehe ich ja auch zu den Erstgesprächen, komme in den Haushalt und schaue, welche Bedürfnisse der Mensch hat. Die Kunden sind ganz unterschiedlich, deswegen mische ich mein Team auch so bunt. Das sind ganz verschiedene Leute mit den unterschiedlichsten Ressourcen, was es ja auch so wertvoll macht. Heute habe ich schon 14 Mitarbeiter, von der Bäckereifachverkäuferin über den Physiotherapeuten und die Arzthelferin bis hin zu Betreuungskräften aus Pflegeeinrichtungen.

Nina: Wir sind so unterschiedlich und bunt wie unsere Kunden …

Regina: Wenn man sonst in ein Unternehmen kommt, sieht man oft ja schon, da ist ein bestimmtes Muster vorhanden. Das ist bei uns nicht so. Wir sind ganz bunt gemischt. Thorsten hat eine IT-Firma, macht das ganz nebenbei, um vom Schreibtisch wegzukommen…

Thorsten: Für mich ist das was ganz Besonderes. Ich bin Einzelunternehmer, bin den ganzen Tag bis auf die Gespräche mit meinen Kunden alleine. Und bei den Zeitfreunden komme ich raus, bekomme was und gebe was. Das ist zweidreimal die Woche ein perfekter Ausgleich für mich. Ich treffe so interessante Menschen, die ich sonst nie getroffen hätte. Zum Beispiel die Ursula … der wäre ich niemals begegnet, es sei denn beim Tanztee … (Lachen)

Ursula: Da nehm ich dich beim Wort – da gehen wir hin! Ich tanze leidenschaftlich gerne …

Thorsten: ich habe einen Kunden, der ist Rollstuhlfahrer. Da bekommt man plötzlich eine ganz andere Sicht aufs Leben, denn ich hab ja nie im Rollstuhl gesessen. Wenn ich mit ihm spazieren gehe, nehm ich plötzlich die Welt ganz anders wahr. Da steht etwa ein Auto auf dem Bürgersteig. Als Fußgänger geh ich dran vorbei, als Rollstuhlfahrer mess ich erstmal aus, ob ich daran vorbeikomme und muss eventuell wieder umdrehen und mir einen anderen Weg suchen. So gewinnt man Erfahrungen auch für mein eigenes Leben, die ich mitnehmen kann. Man wird durch diesen Job sensibler. Ich bin glücklich, diesem Team anzugehören. Ich bleibe so lange Zeitfreund, bis ich mal die Seiten wechsele und selbst Kunde werde.

LIFE: Ursula und Thorsten, was macht ihr beide in der gebuchten Zeit zusammen? Wird dann auch genau auf die Uhr geschaut, wenn die Zeit abgelaufen ist?

Thorsten: Das bewegt sich natürlich in einem vorher abgesteckten Zeitrahmen. Wir treffen uns immer dienstags, kurz vor neun. Ich klingele und Ursula weiß dann, dass sie nicht mehr im Negligee da steht (Lachen)… Wir haben immer drei Stunden, unterhalten uns, gehen in ein Café oder eine Eisdiele. Natürlich ist es kein Problem, wenn es mal fünf Minuten länger geht. Aber wir machen natürlich nicht aus drei dann Stunden sechs oder acht.

„Das ist ein Herzensprojekt“

LIFE: Nina, was genau machst du bei den Zeitfreunden und wie bist du dazu gekommen?

Nina: Es gab ja im letzten Jahr die Flutkatastrophe und ich habe online nach Unternehmen gesucht, die Sachspenden mitnehmen. Durch Zufall bin ich dabei auf die Zeitfreunde gestossen, ich habe mich gleich angesprochen gefühlt und mich mit Regina zum Gespräch verabredet. Zunächst dachte ich daran, Kundenbetreuerin zu werden, da ich ja aus dem sozialen Bereich komme, wo ich vor allem mit Kindern und Jugendlichen zusammen arbeite. Dann aber ist die Idee entstanden, dass die MitarbeiterInnen von meinen Erfahrungen profitieren können, da ich alleine 7 Jahre in der stationären Jugendhilfe gearbeitet habe. Also schule ich die MitarbeiterInnen, sensibilsiere sie für die Aspekte der sozialen Arbeit. Und plane zusammen mit Regina, wie wir mit den Zeitfreunden wachsen können, mehr Kunden erreichen, um noch besser Hilfe zu leisten.

LIFE: Was gibt dir das persönlich?

Nina: Ganz viel. Das ist ein Herzensprojekt für mich. Das Besondere ist: man weiß ja genau, dass etwa außerhalb des pflegerischen Bereichs viele Dinge liegen bleiben. Und genau da fangen die Zeitfreunde an, den Menschen ein Lächeln zu schenken, ein gutes Gefühl, Zeit mit ihnen zu verbringen … all das, was der soziale Kontext nicht immer leisten kann, einfach weil etwa die Kinder weit weg wohnen. Natürlich auch für jüngere Menschen, die einfach mal einen Gleichaltrigen zum Shoppen oder zum gemeinsamen Feiern suchen. Ein positives Gefühl zu schenken, gibt mir ganz viel. LIFE: Gibt es bei euch Altersbeschränkungen? Regina: Nein, gar keine. Der jüngste Kunde ist derzeit zwölf Jahre, wir haben auch schon mal einen 4jährigen betreut. Nach oben hin ist unsere älteste Kundin 95 Jahre und wir hatten auch schon einen Kunden, der 98 geworden ist – mit dem bin ich dann oft um den Obersee gegangen.

LIFE: Wie siehst du, Regina, die Zusammenarbeit mit Nina?

Regina: Wir bauen gerade ein Seminarprogramm für Zeitfreunde auf. Wir wollen trotz Wachstum, immer das Zeitfreunde-Gefühl an alle Mitarbeiter weiter geben, die Werte und Vorstellungen. Wir haben dieses Gefühl verinnerlicht und Nina gibt das als Dozentin weiter. „Wir sind nicht nur für Einsame da“

LIFE: Heute sind immer mehr Menschen einsam. Woher kommt das aus eurer Sicht?

Regina: Ich denke, das liegt am demographischen Wandel. Früher ist man meistens am Ort geblieben, hat eine Ausbildung gemacht, hat sich um die Familie gekümmert. Heute erleb ich es ganz oft, dass ich Anrufe aus Köln oder München bekomme, wo sie die Zeitfreunde im Internet gefunden haben. Und Angehörige im Kreis Herford haben, um die sie sich nicht regelmäßig kümmern können. Ein Sohn lebt sogar in Mexiko.

LIFE: Sind auch Jüngere einsam?

Nina: Sicherlich gibt es das. Aber wir Zeitfreunde sind ja nicht nur für Einsame da… Wir haben etwa eine Zwölfjährige, die an Epilepsie leidet. So geht eine Zeitfreundin mit zum Schwimmunterricht und achtet explizit die ganze Zeit auf dieses Mädchen. Das kann die Lehrerin mit 20 SchülerInnen im Kurs gar nicht leisten und auch die Mutter hat noch zwei andere Kinder. Oder eine ältere Frau wünscht sich, noch einmal an die Ostsee zu fahren oder die Freundin im Pflegeheim zu besuchen. Es geht gar nicht immer um Einsamkeit, sondern darum, Wünsche zu erfüllen.

LIFE: Wie geht ihr mit Menschen um, die eher psychologische Hilfe als Zeit brauchen?

Regina: Grundsätzlich ist es unsere Intention, keine Ratschläge zu geben. Wenn jemand nach Unterstützung fragt, sind wir natürlich da. Durch Ninas und meine Erfahrung haben wir viele Experten, die wir kennen und verweisen dann.

LIFE: Wie sieht es bei schwer erkrankten Menschen aus?

Regina: Am Anfang hab ich eine Dame begleitet, die im Sterben lag. Sie hatte Pflege und die Tochter hat sie versorgt. Zwei Stunden die Woche war einfach ein offenes Zeitfenster und dann sass ich an ihrem Bett, hab ihr vorgelesen, mit ihr gesungen. Wir sind ja keine aktive Sterbebegleitung, aber wir sind grundsätzlich offen für alle Kunden. „Es entstehen zwischenmenschliche Beziehungen“

LIFE: Sind manche Kunden nicht auch frustriert , weil ihr nur bezahlte Kontakte bieten könnt?

Regina: Am Anfang ist da oft schon eine Hemmschwelle, aber die gibt sich schnell.

Nina: Es entstehen echte zwischenmenschliche Beziehungen. Das ist dann schon lange nicht mehr nur auf der Geldebene. Regina achtet genau darauf, dass man vom Typ her passt, so dass sich Beziehungen aufbauen können. Thorsten: Der Kontakt fühlt sich echt an – sonst würde das alles auch nicht funktionieren.

LIFE: Habt Ihr Zeitfreunde in euren 2,5 Jahren besondere Geschichten erlebt?

Regina: Unendlich viele, die wir hier natürlich nicht erzählen können … Thorsten: Ich habe zum Beispiel einen Kunden, der vom Apfelbaum auf die Wirbelsäule gefallen ist, sich seitdem kaum noch bewegen kann und im Rollstuhl sitzt. Und eines Tages sagt er zu mir: Ich will es heute einfach mal versuchen – eine Runde mit dem Rollator ums Haus GEHEN. Und tatsächlich hat der Wille Berge versetzt: wir haben einen Kilometer geschafft! Auch wenn es fast eine Stunde gedauert hat. Er war dann unheimlich glücklich, weil er das schaffen wollte und ich wollte, dass er es schafft. Ich habe zu ihm gesagt: du bist tatsächlich gegangen! Ich hatte Tränen in den Augen, eben weil er das geschafft hatte. Natürlich hatte er immer das Gefühl, nicht mehr dazuzugehören. Wir haben ihm das Gefühl gegeben, dass er dazu gehört! Nina: Ich muss an eine Kundin denken, die an Krebs erkrankt ist und es schwierig fand, immer ihre Kinder zu fragen, ob sie sie zur Chemo fahren. Wir haben sie begleitet, gefahren und sie genoss es, ein Gefühl von Selbständigkeit zurückzugewinnen. Sie sagte, dass sie sich so viel wohler fühle. Heute macht sie unter Bekannten ganz viel Werbung für uns Zeitfreunde.

LIFE: Regina, bist du zufrieden mit der bisherigen Resonanz?

Regina: Ich bin geradezu überwältigt. Ich habe das nebenberuflich aufgebaut, heute sind wir 14 Mitarbeiter. Ich bin dankbar, dass so viele den Weg in mein Team gefunden haben. Ich hab noch nicht mal gesucht – sie haben mich einfach gefunden.

LIFE: Was dürfen wir noch von euch privat erfahren?

Nina: Ich bin 33 Jahre, Sozialpädagogin beim Jugendamt, habe einen kleinen Sohn und spiele in meiner Freizeit Volleyball. Regina: Bin 37 Jahre, habe drei Kids, jogge gerne, lese, spiele Klaviere, bin kreativ – ja, ich muss immer was machen, Neues erleben. Thorsten: Ich bin 59 Jahre, Informatiker, habe meine eigene erfolgreiche Firma, engagier mich ehrenamtlich, laufe gerne …ich versuche, viel auszuprobieren. Und mein Ausgleich sind eben die Zeitfreunde, die ich gefunden habe.

„Das Interview“ von Silke Koch, Lara-Marie Mania und Stefan Winter.

Quelle: life-buende.de